Wolfgang Marks: Die Formatierte DNA


 


Exkurs:
Antisense-Transkription – was ist das?
Weder in der deutsch- noch in der englischsprachigen Literatur ist eine schlüssige oder eindeutige Definition des Begriffs antisense-Transkription zu finden, da die Nomenklatur der beiden DNA-Stränge im deutschen und englischen Sprachraum nicht einheitlich und ziemlich verworren ist. Die erst seit kurzem realisierte Tatsache, dass auch die antisense/opposit/reverse-Versionen beider Stränge für Proteine oder RNAs kodieren, und die Vermutung, dass diese in irgendeiner Form an der Transkription oder der Transkriptionsregulierung beteiligt sein könnten, macht die eindeutige Benennung des jeweils zur Diskussion stehenden DNA-Strangs nicht einfacher, aber umso dringlicher.

Aus Wikipedia:
„Weitere Bezeichnungen für Nukleinsäure-Einzelstränge sind Matrizenstrang, kodierender Strang, Sinnstrang, Plusstrang und Minusstrang, sowie die englischen Begriffe sense (Sinn) und antisense, welche auch in deutscher Fachliteratur Verwendung finden. Zu beachten ist, dass diese Begriffe teils mit wechselnden Bedeutungen benutzt werden. In der gebräuchlichsten Verwendung bezeichnen die Begriffe kodierender Strang, Sinnstrang, Plusstrang und sense denjenigen Nukleinsäurestrang, dessen Sequenz derjenigen des primären RNA-Produkts des Gens entspricht. Matrizenstrang, Minusstrang und antisense sind dementsprechend wie der codogene Strang Begriffe für den zur RNA komplementären Strang, welcher bei der Transkription als Matrize für die RNA-Polymerase dient. Gelegentlich wird jedoch in einer abweichenden Bedeutung das Protein beziehungsweise die tRNA als „sense“ angesehen, wodurch sich auch die Bedeutung der weiteren Begriffe umkehren kann.“ (Zitat Ende)

Das Problem scheint mir in der Hauptsache in der Bedeutung oder besser der Interpretation der Begriffe „sense“ und „antisense“ zu liegen. Seitdem man sich vor geraumer Zeit darauf geeinigt hat, einen DNA-Doppelstrang durch einen Einzelstrang darzustellen und dessen Sequenz von links nach rechts in 5´==>3´-Richtung zu schreiben, hat sich eingebürgert, diesen Strang den sense-Strang zu nennen, obwohl der Begriff „sense“ auf diesen Strang eigentlich nur dann angewendet werden dürfte, wenn dieser Strang auch der DNA-Strang ist, der die Sequenz eines Primärtranskripts repräsentiert (mit „T“ gleich „U“).

Ist der DNA-Strang, dessen Sequenz das Primärtranskript repräsentiert, der zum oben definierten sense-Strang komplementäre Strang (ebenfalls in 5’ == >3’-Richtung), wird demnach dieser zum sense-Strang. Vollends verwirrend wird es, wenn der 5==>3´- (plus)-Strang in der umgekehrten Richtung (also von 3’ ==> 5’) das Transkript des Gens abbildet (mit „T“ gleich „U“) oder der komplementäre (minus)-Strang (3´<==5´) in der entgegengesetzten Richtung, also von 3’ nach 5’, den sense-Strang bildet.

Mit anderen Worten: mit den Begriffen sense oder antisense, complement oder complement reverse ist ein DNA-Strang nicht eindeutig zu definieren, weil diese Begriffe nicht eindeutig sind, sondern abhängig vom Zusammenhang durchaus verschiedene Bedeutungen erhalten können.

Um Missverständnisse zu vermeiden und eine einheitliche und eindeutige Nomenklatur zumindest in dieser Arbeit zu verwenden, werde ich die Bezeichnung „plus-Strang“ für den DNA-Strang in 5´==> 3´- Richtung und für den dazu komplementären 3´<== 5´-Strang  die Bezeichnung „minus-Strang“ verwenden. Wenn einer dieser beiden Stränge in der jeweils entgegengesetzten Richtung als sense-Strang fungiert, ergänze ich die beiden Begriffe durch den Terminus „reverse“.

Ich will an einem konkreten Beispiel aufzeigen, welche Sequenzen im folgenden gemeint sind, wenn ich von Genen auf dem plus, dem plus-reverse, dem minus oder dem minus-reverse-Strang spreche.

Diese vier Sequenzen bieten demnach insgesamt vier Möglichkeiten zur Definition des sense-Stranges, der das Primärtranskript repräsentiert (T=U):

    “sense-Strang” ist der plus-Strang
    “sense-Strang” ist der plus-reverse-Strang
    “sense-Strang” ist der minus-Strang
    “sense-Strang” ist der minus-reverse-Strang

Wenn ich also von einem Gen zum Beispiel auf dem plus-reverse-Strang spreche, heißt das, dass die Basenfolge der apostrophierten Sequenz auf dem plus-Strang reverse oder antisense gelesen der des primären Transkripts dieses Gens entspricht (wenn man T durch U ersetzt). Dieses primäre Transkript wird gebildet, indem der zum plus-Strang komplementäre Strang – der minus-Strang – in 5’ ==> 3’ – Richtung abgelesen wird (Beispiel im Kasten). Analog gilt dies auch für die anderen drei beschriebenen Transkriptionsmöglichkeiten.